top of page

Weltraumbullshit

Letzte Woche wurde ich gefragt, was ich eigentlich von Elon Musk halte. Erstaunlich, wie sich die halbe Welt dafür interessiert, was Musk jeden Tag tut oder sagt. Ich frage mich oft, warum er eigentlich so viele Fans hat. Etwa weil er Raketen mit einem Tesla obendrauf ins All schiesst? Weil er tausende von Satelliten durch den Orbit schwirren lässt? Weil er von der Besiedlung des Mars faselt? All dies trifft zu. Vereinfacht könnte man sagen; weil er den Leuten das Gefühl gibt, an ganz grossen Dingen teilzuhaben, in bedeutenden Zeiten zu leben. Es gibt nunmal eine Faszination für alles, was mit der menschlichen Ausdehnung in den Weltraum zu tun hat. Millionen Leute verfolgen gebannt den Start jeder von Musks Raketen. Ich kenne das Glimmen in den Augen der Raketenfans, die begeistert vom neuen Zeitalter der Menschheit schwadronieren, die in nicht ferner Zukunft interplanetar unterwegs sein wird. Es sei deshalb richtig und wichtig, jetzt schon mit all diesen Experimenten zu beginnen, auch wenn es noch lange dauern wird. Ich persönlich kann über solch hanebüchene Sprüche nur mitleidig den Kopf schütteln. Ich glaube nicht, dass den meisten Visionären wirklich klar ist, über welche Dimensionen wir sprechen. Natürlich, ich kann die Begeisterung und das wechselseitige Besoffenreden von diesen Fantasien verstehen. Die Vorstellung, man sei bei all diesen mächtigen Dingen irgendwie dabei, ist halt toll. So wie eine Kolonie auf dem Mars eine coole Vorstellung ist. Kenne ich auch noch aus meinen Comicheften. Deswegen wollen eben so viele Leute glauben, dass wir tatsächlich in diesen bedeutenden Zeiten leben. So auch Musk. Ich glaube, Elon Musk ist ein Typ, der zwar hochintelligent und ein grosser Visionär ist, sich aber nicht damit abfinden kann, dass er seiner Zeit weit voraus ist.

 

Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Es ist die Epoche der klimatischen Veränderung. Die menschliche Zivilisation steht vor der grössten Herausforderung, die es jemals gab. Es geht nicht mehr um die Soziale Frage, es geht um die Existenzielle. Wir haben eine Sitaution, in der sämtliche Anstrengungen darauf verwendet werden müssen, das Weltklima und somit uns selbst zu retten. Dabei haben wir für unnötige milliardenteure Spielchen keinen Platz. Schlimm genug, dass wir ein neues weltweites Wettrüsten ertragen müssen. Dies allein ist an Absurdität schon kaum zu übertreffen. Wir sitzen alle in einem Boot und das Boot hat ein Loch! Noch abstruser scheint mir dagegen, was offenbar Musks Vision betrifft: die Besiedelung des Mars. Ich weiss nicht, wie ernst er das selber meint. Er kann ja nicht dumm sein. Aber selbst ein kluger Mensch kann von seinen eigenen feuchten Träumen geleitet werden, seien sie auch noch so unvernünftig. Wir Menschen sind nunmal keine rationalen Wesen, sondern treffen im Grunde jede von unseren Entscheidungen auf der Grundlage von Emotionen.

 

Wer es noch nicht mitgekriegt hat, unser Planet ist Millionen von Lichtjahren von allem entfernt, was auch nur annähernd bewohnbar ausschaut. Allein zum Mars sind es dreihundert Millionen Kilometer. Aus dem was der Planet hergibt, kann man dort nichts bauen. Die paar Edelmetalle, die man da finden mag, nützen überhaupt nichts. Das heisst also man muss alles selber mitbringen, all das Material, um eine Siedlung zu starten, mitsamt Nahrung, Wasser, Ausstattung, Geräten, Technik, Sicherheitssysteme für eine lebensfeindliche Umwelt und allem, was dazu gehört. Nicht zu vergessen die Menschen, um die es ja geht und von denen man erstmal welche finden muss, die bereit sind, der Erde für immer Adé zu sagen, obwohl… Verrückte gibt es überall. Vielleicht sind das dann aber auch nicht die Leute, denen man das alles anvertrauen möchte.

 

Man stelle sich Menschen vor, deren Gehirne so belastbar sind, dass ihnen sämtliche naturellen Erfahrungen wie das Geräusch des Waldes und Windes, die Wärme der Sonne auf der Haut, der Blick über weite Landschaften, das Laufen über Wiesen, und all das entzogen werden können. Wenn man weitere hunderttausend Jahre Menschen ausserhalb der Erde hochzüchten würde, würde wahrscheinlich eine degenerierte Form dabei herauskommen, die mit unserer nur noch geringfügig zu tun hat. Die könnte man dann den Homo Galacticus nennen. Wahrscheinlich hätte man es aber schon nach ein paar Jahren mit psychisch völlig zerstörten Menschen zu tun, deren Verstand und Wahrnehmung zusammengeschrumpft ist, gefüttert von der permanenten Unterdrückung natürlicher Bedürfnisse. Musk träumt von einer Stadt auf dem Mars. Sie müsste wohl ausschließlich aus Irrenhäusern bestehen für das neue Musk-Marsianer-Volk. Man bleibt sein ganzes Leben lang eingesperrt. Der Raum, den unsere Musk-Marsianer da bewohnen sollen, muss also gross genug sein. Man braucht grosse Hallen, grossflächige Anlagen, wo man sich austoben und noch als Mensch fühlen kann, anstatt als lebenslange Laborratte. Man braucht also tausende Tonnen an Baumaterial, dafür auch Maschinen, um das alles hochzuziehen. Dazu gehören zuverlässige Anlagen für die Sauerstoffversorgung und und und… All das Zeugs muss auf Raketen gepackt werden, dreihundert Meter hoch, hunderttausende Tonnen schwer. Die Menge an Treibstoff um das Ganze hochzuschieben, die Menge an schieren Ressourcen, die man für diese gesamte Operation aufwenden muss, kann man sich nicht vorstellen. Das ganze ist so gigantisch, dass es völlig klar ist, dass so eine Unternehmung so schnell nicht wiederholt werden könnte. Und vor dem Hintergrund der zunehmenden Krisen auf der Erde wird ein Plan für eine langfristige Verbindungen zu einem entfernten Planeten immer unrealistischer.

Und wie würde sich das ganze überhaupt rechtfertigen lassen? Die ganze Aktion muss ja schließlich damit begründet werden, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft der Mars bewohnbarer sein wird als die Erde, damit er als sinnvoller Backup-Plan in Frage kommt. Andernfalls gibt es ja überhaupt keinen Grund, das alles zu tun. Angenommen, das schlimmste Szenario der Erderwärmung trifft ein und der Grossteil der Erde ist versteppt, verwüstet oder vom Ozean überspült. Inwiefern ist dann der Mars besser? Auf der Erde wird es ja nach wie vor Wasser, atembare Luft und viele Rohstoffe geben. Verglichen mit dem dreihundert Millionen Kilometer entfernten Mars, ist die Erde immer noch tausendmal einfacher zu bewohnen. Man findet kein einziges rationales Argument, ausser dass es eine spektakuläre Leistung der menschlichen Spezies wäre, den Fuss auf einen anderen Planeten zu setzen. Wir können uns dann selber beklatschen. Wie schön.

 

Eine Kolonie auf dem Mars ist eine blosse Micky-Maus-Fantasie. Vollkommen sinnlos, aber halt toll in der Vorstellung. Der Hype um den ganzen Weltraum-Unfug mit der Idee des interplanetaren Menschen zerstört die Zukunft der Raumfahrt selbst, denn je mehr Raketen da hoch geschossen werden, desto mehr Schrott bleibt davon übrig, der umherschwirrt und zukünftige Raumschiffe beschädigt oder zerstört. Und während der Orbit mit Raketenteilen zugeschissen wird, schwirren andere grössenwahnsinnige Fantastilliardäre vom Schlage Jeff Bezos’ in ihren Privatkapseln um die Kugel und werden dafür noch beklatscht, während man das Verhalten von solchen Raketenmännern eigentlich radikal skandalisiert müsste. Einem Mann wie Elon Musk, den man wohl zurecht als eine der mächtigsten Personen der Welt betrachten kann, kommen meiner Meinung nach Privilegien als auch Verpflichtungen zu. Aber auch uns normalen Leuten, die wir im Wohlstand leben dürfen, kommt die Pflicht zu, uns von diesem ganzen Weltraumbullshit abzuwenden und aufhören so zu tun, als wäre es die Aufgabe der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, an Möglichkeiten über das Verlassen unseres Heimatplaneten zu arbeiten.

 

Es gibt verschiedene Phänomene, in denen ich die grosse Fatalität der zunehmenden Hoffnungslosigkeit zu sehen glaube. Eine davon ist eben diese Traumvorstellung vom interplanetaren Menschen in seinem Raumschiff, der fröhlich zum Mars hinüberschippert und dabei die unbewohnbare Erde wie ein Stück Abfall hinter sich liegen lässt. Ich glaube, dieses Weltraumthema ist eben gerade nicht Ausdruck von Hoffnung und Träumen, sondern im Gegenteil: der Hoffnungslosigkeit! Alle, die sagen, wir sollten uns schon jetzt mal Gedanken machen, wie wir künftig interplanetar fortexistieren, haben schlicht einen an der Waffel! Man muss es den Leuten einfach klarmachen, auch wenn es sich so anfühlt, als nehme man einem Baby seinen Schnuller weg. Der Mensch des einundzwanzigsten Jahrhunderts hat da oben einfach nichts zu suchen. Und wenn man es schon nicht lassen kann, da hoch zu gehen, könnte man mal damit beginnen, den ganzen Raketenschrott aufzuzfegen, der da im Orbit mit dreissigtausend km/h umherschwirrt und eines nicht fernen Tages sowieso jede weitere Expedition verunmöglicht.

 

Wir müssen auf den Boden der Tatsachen zurückkommen und halt einfach die Realität anerkennen, dass unsere Aufgabe die ist, die Bewohnbarkeit des Planeten zu retten und nichts anderes! Wir können es uns einfach nicht leisten, irgendwelchen pubertären Raketenfantasien nachzuträumen. Vielleicht kommt den Menschen des vierten Jahrtausend dieses Privileg zu. Vielleicht auch fünftaused oder zehntausend. Aber uns hier jedenfalls nicht und je eher dies eingesehen wird, desto besser. Ganz sicher ist, dass es niemals geschehen wird, wenn wir unseren Fokus jetzt nicht woanders hinrichten: zum Boden unter unseren Füssen. Also lasst uns demütig unseren Blick senken und Gebrauch von unserem Verstand machen.

Juli 2024

bottom of page