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Erinnerungen ans Internat

 

​Vor ein paar Jahren unternahm ich mit einer Freundin einen Ausflug, um ihr den Ort zu zeigen, der für mich zu seiner Zeit gleichsam Lebensschule, Ausbildungsstätte und ein zweites Zuhause gewesen war. Wir schlenderten am Platz vor der Mensa vorbei und sahen dort einige junge Teenies, die einen schüchternen Eindruck machten. Ich überprüfte das Datum und mir wurde plötzlich klar, dass dies die Neulinge sein mussten, die an eben diesem Sonntagabend ins Internat einzogen. Ich selbst hatte hier auf den Tag genau vor zehn Jahren gestanden. Vielleicht bildete ich es mir ein, aber ich meinte in den mir so jung erscheinenden Gesichtern dieselbe Anspannung lesen zu können, wie sie seinerzeit mich ergriffen hatte. Eine unmittelbare Zukunft stand bevor, allein unter Fremden und weit weg gewohnter Geborgenheit, die für einen Fünfzehnjährigen doch mehr bedeutet als er sich eingestehen würde.

 

Diese ersten Tage im Internat bleiben unvergesslich. Man versucht klarzukommen mit allem, was auf einen einstürzt. Eine Menge fremder Gesichter, die auf mich älter und einschüchternd wirkten. Man kriegt als einer der Neuen mehr Aufmerksamkeit als einem am Anfang lieb ist. Das neue soziale Spielfeld und der Druck, sich darin einen Platz zu sichern. Dies alles stellt einen jungen Menschen auf die Probe. Nachdem ich die erste Woche durchgestanden hatte, verspürte ich am Sonntagabend überhaupt keine Lust, in diese Höllenmaschine zurückzukehren. Eine Woche später fiel es schon nicht mehr so schwer und ab der vierten Woche konnte ich es kaum noch erwarten, meine Reisetasche zu schultern und zu meinem neuen Zuhause aufzubrechen.

 

Im Rückblick war die Zeit im Internat nicht nur einfach ein Lebensabschnitt, sondern Lebensschule. Hier erweiterte ich nicht nur viele Sozialkompetenzen, sondern entdeckte auch, dass in mir ein grosses Bedürfnis nach Geselligkeit steckt. Dazu das weitreichende Umfeld. Der Internats-Kosmos begleitet einen weit in den schulischen Alltag am Gymnasium. Man lebt in zwei Gesellschaften, die sich dauernd überschneiden. Als Internätler gehört man zu den Verschworenen, zu den sprichwörtlichen Insidern. Man hat seine Verbindungen in fast sämtliche Klassen an der Schule. Das Netzwerk übergreift alle Jahrgänge. Es sind die späten Teenager-Jahre, die man hier in einer riesigen Wohngemeinschaft verbringt. In dieser Zeit geschieht so ungeheuer vieles. Das erste Mal Partys feiern, der erste Kuss, die diversen Freundschaften. Dazu das aufkommende Interesse am Weltgeschehen und der Beginn eigener Politisierung. Es ist das intensive Intermezzo zwischen Kindheit und dem frühen Erwachsensein voller Lebenslust, mit dem jugendhaften Hang, anecken zu wollen, sowie der Suche nach Orientierung. Turbulent und aufregend kann das Leben im Internat einen ständig auf Trab halten, während es manchmal die Momente des sozialen Überdrusses gibt und es einem dann schwer fällt, die Ruhe und die Abschottung zu finden. Ebenso macht man die Erfahrung, dass Integration nicht einfach von alleine geschieht. Auf die Leute zugehen müssen, um Beziehungen aufzubauen war eine wesentliche Lektion im Internat für mich und nirgendwo werden einem bessere Möglichkeiten dafür geboten. Einsam sein und Allein sein sind zwei verschiedene Dinge. Auch dies lernt man wohl nirgends so intensiv wie hier.

 

Das Leben im Internat ist wie das Leben anderswo voller Abwechslung und Monotonie, Aufregung und Langeweile, Freude und Trübsal. Aber stets war für mich der Hintergrund geprägt von einem fröhlichen und unfassbar zugänglichen Umfeld. Man sitzt konzentriert an seinem Schreibtisch und lernt für die nächste Prüfung, während gedämpftes Gelächter durch die geschlossene Zimmertür dringt. Dann überkommt einen die Sehnsucht und man würde nichts lieber tun, als aus seiner Tür herauszutreten, um am nächsten geselligen Spass teilzuhaben.

Juni 2024

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