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Equality vs. Justice

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neulich sah ich im Internet diesen kleinen Cartoon, der meiner Meinung nach äusserst gut und aufschlussreich die Problematik ganz vieler kultureller Debatten illustriert, die in unseren Zeiten die Gesellschaft in Aufruhr versetzen.

Man sieht zwei gegenübergestellte Situationen mit dem selben Setting. Drei Menschen stehen an einem hohen Zaun und versuchen darüber hinweg einem Baseball-Spiel zuzuschauen. Die drei sind unterschiedlich gross, haben aber alle jeweils eine Kiste, auf die sie sich stellen können, um über den Zaun zu schauen. Die grösste Person hat damit überhaupt keine Mühe. Die mittlere Person kommt mit ihrem Kopf nur knapp über den Rand des Zauns, kann aber dennoch das Match verfolgen. Aber die dritte und kleinste Person kann nicht über den Zaun blicken, auch nicht mithilfe ihrer Kiste. Sie ist einfach zu klein. Diese Situation wird mit Equality beschrieben. Alle drei haben eine Kiste. Die Ressourcen sind fair verteilt. Die gegenübergestellte Situation zeigt dieselbe Szene, aber nun hat die kleinste Person zwei Kisten zur Verfügung. Damit kann sie mühelos über den Zaun blicken. Die grösste Person hingegen hat keine Kiste mehr. Es liegt nahe, dass ihre Kiste nun der kleinsten Person gegeben wurde. Dennoch hat die grösste Person dank ihrer grossen Statur keine Probleme, das Match zu verfolgen. Die Ressourcen sind ungleich verteilt, aber alle sind damit zufrieden. Happy End! Diese Situation wird mit Justice betitelt als eine Gegenüberstellung zu Equality.

 

Der Cartoon soll veranschaulichen, wie über eine Umverteilung von Ressourcen Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Equality, so wie sie rechtlich gegeben ist, bedeutet zwar, dass alle dieselbe rechtliche Ausgangslage haben, die aber dafür sorge, dass Ungerechtigkeit herrscht. Denn in der Gesellschaft haben nunmal nicht alle die gleichen Chancen. Dies ist die These sämtlicher Kulturdebatten, wie sie heute die Gemüter erhitzen. Ungleiche Chancen aufgrund diverser Faktoren. Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Gender-Identität, mentale Veranlagungen und sonstige Kategorien sind ausschlaggebend für Forderungen nach Veränderung. Doch die Benachteiligung geschieht dabei nur sehr vage auf gesetzlicher Basis. Die Gründe dafür, dass beispielsweise jemand mit dunklerer Hautfarbe eine prozentual kleinere Chance hat, eine Wohnung zu bekommen, ist keine Folge gesetzlicher Benachteiligung, sondern kultureller Diskrimminierung. Diesen Unterschied muss man klar sehen und betonen. Ich habe den Eindruck, dass in den allermeisten Debatten, die ich heutzutage mitverfolge, dies überhaupt nicht berücksichtigt wird. Das kann sich dann heillos verzetteln, weil den Beteiligten nicht klar ist, ob man nun darüber redet, dass beispielsweise People of Colour gesetzlich privilegiert werden sollen um einen Ausgleich zu schaffen (was rassistisch wäre) oder ob man die Gesellschaft lediglich auf Benachteiligungen sensibilisieren und so einen kulturellen Wandel in Gang setzen will. Es ist wichtig zu begreifen, dass gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber bestimmter Minderheiten nichts mit gesetzlicher Benachteiligung zu tun hat. Manche Leute reden von Struktureller Diskriminierung. Ich halte diesen Begriff für äußerst problematisch. Denn gemeint ist zwar, dass bei Diskriminierung gewisse Raster festgestellt werden können, aber der Begriff strukturell klingt mir zu sehr nach systemisch und damit nach Gesetzeslage und juristischer Unberechtigung. Dass jemand mit anderer Hautfarbe eine Wohnung nicht bekommt, hat nichts mit eingeschränkten Rechten zu tun, sondern damit, dass dem Vermieter vielleicht unwohl ist. Denn er hat das Gefühl, dass Ausländer weniger Sorge tragen. Hier können wir Rassismus erkennen, der tief verwurzelt ist und sich subtil offenbart. Dass es noch immer Vorbehalte gibt gegenüber Menschen aus anderen Ethnien und Kulturen, ist kultureller Rassismus, nicht verordnete Politik. Kultur ist kein System! Die wichtigste Frage muss daher immer sein, ob wir für einen gesellschaftlichen Wandel kämpfen oder die Gesetzeslage ändern wollen. Die Nichtbeantwortung dieser Frage führt stets zu Missverständnissen in den Debatten. Diese verlaufen dann meistens sehr chaotisch, während die Kontrahenten Begriffe falsch verwenden. Sie vermischen zum Beispiel Gleichberechtigung und Gleichstellung, was überhaupt nicht dasselbe ist.

 

Der Cartoon vermittelt den Eindruck, als könne mithilfe rechtlicher Methoden Chancengleichheit erreicht werden. Übersetzt in unser reales Beispiel mit der Wohnungssuche wäre das eine Gesetzesanpassung, dass People of Colour als Mieter bevorzugt werden müssten. Dies wäre de facto wiederum eine rassistische Diskrimminierung gegen weisse Personen auf gesetzlicher Ebene.

 

Was man in Debatten, wo es um Benachteiligung geht, oft hört, ist, dass es um die Bekämpfung von Privilegien geht, um die Bekämpfung von Vormachtstellung in einem System. Manchmal hört man auch den Wortlaut nach oben treten. Für manche ist das die Begründung, warum solche Forderungen nicht diskriminierend seien. Wenn man “nach oben tritt”, dann ist es OK und legitim. Das ist völliger Unsinn, weil sich Gesellschaft und Kultur einfach nicht quantifizieren und nach Parametern der Diskriminierung rastern lassen. Man kann unsere Gesellschaft nicht nach Hautfarbe oder Geschlecht hierarchisieren und damit Politik machen. Oben und unten sind Ergebnisse von Kultur. Dass etwas nicht diskriminierend sein kann, wenn es sich “gegen oben” richtet, gegen die Privilegierten, ist eine Illusion. Die Thematisierung von Privilegien ist verständlich. Aber sie kann niemals die Grundlage für Politik sein. Es ist mit unseren demokratischen Werten nicht zu vereinbaren.

 

Genau dies ist der andere problematische Punkt über diesen Cartoon Equality versus Justice. Er vermittelt den Eindruck, als könne man Diskriminierung messen wie eine Körpergröße. Um das Etikett diskriminiert oder privilegiert einer Person anzuhängen, müsste man davon ausgehen, dass jede Person of Colour in unserer Gesellschaft per se ein Opfer ist, das beschützt werden muss. Das allein wäre schon rassistisch, weil ich damit jede Person of Colour als geschundenes Opfer marginalisieren würde. Und wäre eigentlich jemand, der beispielsweise aus Tunesien stammt und einen helleren Hautton hat als jemand aus dem Kongo, weniger diskriminiert? Kriegt er oder sie deswegen zwei zusätzliche Kisten und nicht nur eine?

 

Der Cartoon zeigt eine ganz klar messbares rationales Problem. Die Menschen haben unterschiedliche Körpergrösse und der Zaun ist nunmal so hoch wie er ist. Das lässt sich aber auf die Situation von Benachteiligungen verschiedener Gruppierungen nicht einfach mathematisch übertragen. Wenn wir den Cartoon auf eine reale Situation anwenden, dann behaupten wir, dass all diese Ungleichstellungen sich in ein durchorganisiertes System von Privilegien und Benachteiligungen hineininterpretieren lassen.

 

Meiner Einschätzung nach, will der Cartoon moralisieren und uns dazu bringen, über die Hürden nachzudenken, die viele Menschen in unserer Gesellschaft haben. Gleichzeitig versucht er die Lösung anzubieten und zeigt dabei eben genau die Problematik auf, die in den Argumentationen für vermeintliche Gerechtigkeit häufig drin steckt. Ungleiche Chancen sind leider eine traurige Wahrheit in unserer Realität. Die Umverteilung der Kisten ist ein schönes Bild, weil Freigebigkeit und Fairness eine gute Sache ist. Letztendlich sollte es eben allen freigestellt sein, ob sie ihre Kisten hergeben möchten. Diejenigen allerdings, die dies tun, die lieber geben statt nehmen, sind diejenigen, die zu einer faireren Gesellschaft beitragen und die Welt zu einem besseren Ort machen. Einem Ort, der vielleicht eines Tages ohne Zäune und ohne Kisten auskommen kann.

März 2025

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