Die Smarte Selbstentmündigung
Einfach Smart. Wie schön, dass unsere Spielzeuge immer mehr das Denken für uns übernehmen! Was bleibt mir am Ende? Jedenfalls nichts, was mich belästigt. Im Auto muss ich keinen Schalter für die Klimaanlage betätigen, denn der Smart Car misst automatisch die Innentemperatur und passt die Kühlung oder die Heizung darauf an. Dasselbe gilt natürlich längst für das Smart Home. Ich komme nach hause und der smarte Kühlschrank hat schon abgecheckt, ob noch Milch vorhanden ist. Das war sie nicht. Also hat er bereits online Milch bestellt, die auch schon geliefert wurde und vor meiner Haustür steht. Auch um so lächerliche Dinge wie Heizung abzustellen, brauchen wir uns längst nicht mehr zu kümmern. Schließlich sind wir Menschen und haben die unentschuldbare Schwäche, Dinge vergessen zu können. Was für ein Nachteil für ein gutes Leben! Ein Computer kann das nicht.
Aber smart genug sind wir noch lange nicht. Wir wollen die vollendete Smartness! Immer noch verbrauchen wir unnötig viel Energie. Immer noch müssen wir Termine von Hand in unseren Kalender eintragen, ohne dass dieser das selbst begreift und tut. Wir müssen immer noch mühselig kochen wie in grauen Vorzeiten. Warum macht das noch nicht die Smart Kitchen mit ihren smarten Pfannen? Warum eigentlich lässt die Smart Shower nicht von allein das Wasser fliessen, sobald ich eintrete? Und warum eigentlich macht mir der smarte Multimixer morgens nicht automatisch meinen Smoothie mit den richtigen Zuckermengen, Vitaminen und sonstigen wünschenswerten Inhaltsstoffen, deren Bedarf meine zuvor vom smarten Bett gesendeten Daten, das nachts meinen kompletten Körper gescant hat, zugesendet kriegt? Wir leiden eindeutig noch unter zu viel Mühsal. Lächerliche Dinge, die eigentlich Alltag sind, aber die nur unsere kostbare Zeit verschwenden, die wir ja nutzen könnten, um productive und creative zu sein. Wir müssen den wirklich smarten Endzustand erreichen, wo uns das alles nicht mehr zu interessieren braucht, weil alles um uns herum so smart ist, dass für uns nur noch die vollkommene Sinnhaftigkeit übrig bleibt. Der Genuss des Lebens. Aber ist das Leben nicht von Grund auf schon unsmart?
Der Endpunkt der Smartness… wie sähe der aus? Eigentlich ist es der Tod. Die Toten unter der Erde sind im smartesten Zustand überhaupt, denn sie verbrauchen keine unnötige Energie. Sie müssen auch nicht mehr selbst denken und Sorgen haben sie schon gar nicht. Das alles übernimmt der Smart Death für sie. Ich bin am Leben, lasse mich noch bevormunden von Technik, die es eh besser weiss als ich. Womit also verdiene ich noch meine Existenzberechtigung? Damit, dass ich Mensch bin und demnach berechtigt bin, die Welt zu erleben. Aber dies tu ich nicht mehr als mündige Person, als jemand der vom Leben Bescheid weiss. Ich weiss natürlich gar nichts mehr. Wozu auch? Wissen ist an die KI delegiert, genauso wie jede andere Form von geistiger oder körperlicher Anstrengung. Sind wir also deswegen hier? Sind wir auf der Welt, damit alles um uns herum immer autonomer wird, während wir selbst uns immer mehr bevormunden lassen? Sind wir da, um uns in selbstfahrenden Autos wie im Kinderwagen durch die Gegend zu schippern? Wollen wir uns vom Smart Home babysitten lassen? Sind wir deswegen erwachsen geworden? Ist Leben mit den unsmarten Dingen nicht irgendwie schöner, weil interessanter? Ich muss sagen, ich denke gerne darüber nach, was ein gutes Leben sein könnte. Diese schwierige Frage wälzen wir ständig in unserem Kopf herum. Jeder und jede von uns ist Philosoph, auch wenn das für viele überheblich klingen mag. Über die unbeantwortbaren Fragen nachzugrübeln, ist ein Automatismus des Gehirns, weil der Sinn des Lebens nicht objektiv beantwortbar ist. Und da kann uns auch kein Smart Dingsda bei helfen. An den Fragen zu scheitern ist doch etwas schönes. Schöner als mir von Siri und Alexa sagen zu lassen, warum ich mich heute schlecht fühle. Um zu wachsen und das Glück zu finden, muss man aber smart sein. Ich wäre dafür, darüber nachzudenken wie die Menschen smarter werden können und nicht die Geräte, mit denen wir uns umgeben.
Juli 2023