Der Rechte Kompass
Deutschland hat gewählt. Der nächste Kanzler wird ziemlich sicher Friedrich Merz von der Union, einer Partei, die eigentlich viele Jahrzehnte als die rechtskonservative Partei in Deutschland galt. Unter Angela Merkel rückte die Partei dann nach links. Merkel liess mehr Migration zu, vorallem während der sogenannten Flüchtlingskrise. Seit dieser Zeit sehen wir in dem Land den stetigen Aufstieg einer Partei, die sich selbst Alternative von Deutschland heisst. Auch wenn die Partei heutzutage so tut, als hätte sie ein diversifiziertes Themenspektrum, ihr eigentlicher Markenkern war schon immer die Bekämpfung von Immigration. Ich persönlich habe stets grosse Mühe mit leichtfertigen Nazivergleichen in der heutigen Zeit. Das liegt daran, dass ich mich selbst viel mit der geschichtlichen Epoche des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs beschäftigt habe. Meiner Meinung nach würde jede, der klar ist was Nazis wirklich waren und was Nazis getan haben, nicht mir nichts dir nichts Personen aus der AfD oder deren Wähler als Nazis betiteln. Ohnehin nimmt das Wissen um den Holocaust ab, wie Studien zeigen. Es gibt eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen den heutigen Rechten Parteien und den historischen Rechtsfaschistischen Bewegungen von vor hundert Jahren.
Im Gegensatz zu den echten historischen Nazis läuft das Streben der Neurechten AfD nicht auf die Eroberung von Territorien und die Versklavung fremder Völker aus. Rechts sein fokussiert sich heute auf Protektionismus, die Abwehrhaltung gegen aussen. In ganz Europa können wir feststellen, dass rechte Parteien im Trend sind. Frankreich wird von dem Rassemblement übernommen. In Italien ist eine Frau an der Macht, deren Partei sich offen als neofaschistisch bezeichnet. In Dänemark haben wir sogar den Fall, dass die Sozialdemokraten nun die harte Auswandererpolitik durchsetzn, die man eigentlich von rechter Seite kennt. Was heute rechts ist, fokussiert sich auf die Zustände im eigenen Land, die Probleme mit Migration. Und all diese Rechten Parteien in Europa sind miteinander im Bündnis. Nationalismus in Deutschland etwa richtet sich nicht mehr gegen Franzosen, wie es Jahrhunderte lang der Fall war. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war das noch anders. Es ging um die Vormachtstellung des eigenen Landes vor anderen Grossmächten. Die Deutschen wählten Hitler, weil er die Siegermächte und deren erniedrigendes Friedensdiktat anprangerte, nicht etwa weil er sagte, wir haben hier zu viele Juden. Deswegen finde ich Äusserungen wie mit der AfD könnte sich die Geschichte wiederholen ziemlich undurchdacht. In der Weimarer Republik forderte “Rechtssein” Aggression nach aussen. Heute richtet sich “Neurechts” auf die Zustände im Innern und darauf, unerwünschte Ausländer rauszuwerfen.
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Ich denke, dass in den kommenden Jahren in ganz Europa und natürlich auch in den USA eine viel härtere Migrationspolitik zu beobachten sein wird, und dass die Probleme mit Migranten*innen, die es nun einmal gibt, stark zurückgehen werden. Aber was dann? Gehen wir mal davon aus, dass haufenweise Immigranten abgeschoben werden und in den Ländern des Westen die Hitze aus der Debatte verschwinden wird. Was wird danach wieder Rechts sein? Wonach muss sich dann Rechts wieder neu ausrichten? Was wird nach Trunp und nach einer Alica Weidel sein?
Ich glaube, dass wir in der neuen multipolaren Welt viele Nationen haben, die nach oben streben. Die Konkurrenz um die Plätze an der Sonne, Nationale Grösse, wird stärker und es gibt jetzt viel mehr Player als noch im Kalten Krieg. Das neue Rechts könnte dann also wieder eher ans Rechts aus der Vorkriegszeit erinnern. Wenn die USA und China tatsächlich irgendwann einmal Krieg gegeneinander führen werden, dann wird Nationalismus in den USA wieder ein anderes Gesicht bekommen. Oder falls Russland tatsächlich einmal versuchen wird, Westeuropa anzugreifen (was ich persönlich für polemisches Aufrüstungsgeschwätz halte), werden wir in Deutschland plötzlich eine AfD haben, die nicht mehr von illegaler Migration spricht, sondern von feindlichen Völkern? Vielleicht wird bis dahin die AfD auch längst verschwunden sein. Vielleicht werden sich in Europa wieder neue Parteien bilden, rechte Parteien des späten Einundzwanzigsten Jahrhunderts. Ich weiss nur, dass mir die Vorstellung von aggressiver Expansionspolitik viel mehr Unbehagen bereitet als die Vorstellung, dass ein paar konservative früher-war-alles-besser-Protestparteien Immigration beschränken wollen. Solange wir Frieden zwischen den Ländern haben und keine Regierungen, die einander angreifen und auslöschen wollen, sollten wir alles daran setzen, dass dies so bleibt, auch wenn wir dafür über unseren politischen Tellerrand schauen müssen.
Februar 2025