Der Mensch und das Produkt
In diesem Herbst 2021 soll es endlich soweit sein! Die Eröffnung des neuen Nicaragua-Kanals rückt näher. Seit 2017 ist man in Nicaragua fleissig am graben. Ein Jahr zuvor hatte die Eröffnung des neuen Panamakanals Schlagzeilen gemacht. Der alte Panamakanal war nämlich zu klein geworden. Das Problem bestand darin, dass dort nur Schiffe durchfahren konnten, die etwa viertausend Container laden können. In dem neuen Nicaragua-Kanal können nun Schiffe durchfahren, die eine Kapazität von etwa zwanzigtausend Container umfassen. Die Frage ist natürlich, ob das reichen wird. Denn in ein paar Jahren gibts dann wohl Schiffe, die dreißigtausend Container tragen können und die kommen auch da nicht mehr durch. Vielleicht wäre es also eine gute Idee, wenn man in weiser Voraussicht einfach ganz Panama und Nicaragua von der Landkarte tilgen würde, sodass dann dort auch noch in fünfzig Jahren die Schiffe durchpaßen, die dann eine Million Container fassen.
Das erfreuliche Ergebnis davon wird sein, dass wir im Supermarkt dann nicht mehr die Auswahl zwischen einhundert Kaffeemaschinen haben werden, sondern zwischen zweitausend. Falls man nach der Entscheidung zur genau richtigen Kaffeemaschine noch ein bisschen Zeit hat, kann man beim nächsten Regal sich noch zwischen fünfzig verschiedenen Modellen des allerallerneuesten Tablets auswählen und in der Lebensmittelabteilung hat man dann die Qual der Wahl zwischen fünfhundert Marmeladen, alle mit Erdbeergeschmack. Außerdem können die Zyklen verkürzt werden. Immer mehr Produkte garantieren auch schnelleren Verbrauch. Viele Leute gehen heute Möbel kaufen, die billig sind und nicht lange halten. Möbel sind etwas geworden, mit dem man nicht mehr umzieht, sondern alle paar Jahre auf den Sperrmüll stellt. Objektiv betrachtet werden wir Menschen zunehmend zu bloßen Zwischendeponien von Müll.
Die interessante Frage ist, ob man all dieses Zeugs noch als Produkte definieren kann. Im klassischen Verständnis besteht der wirtschaftliche Stoffwechsel aus Produkt und Konsument. Wir, die Menschen, benötigen Produkte, die wir konsumieren. Angebot resultiert aus Nachfrage. Allerdings hat die Wirtschaft das Problem, dass wir ja schon einen gewissen Peak erreicht haben. Materielle Not kennen wir in den westlichen Konsumgesellschaften größtenteils nicht mehr. Das bedeutet, dass man in den Menschen künstlich ständig neue Begehrlichkeiten wecken muss. Bevor die Tablets auf den Markt kamen, hat nie jemand daran gedacht, dass ihm im Leben ein Tablet fehlt. Es geht nicht darum, ein bereits bestehendes Bedürfnis zu stillen, sondern ein neues Bedürfnis entstehen zu lassen. Um die wachstumsorientierte Wirtschaft am laufen zu halten, muss man den Menschen als Konsument immer wieder neu kalibrieren. Der Mensch ist das wertvollste Produkt überhaupt. Dieses Produkt gilt es, stets zu perfektionieren. Der Mensch muss ständig als Bedürftiger neu erfunden werden, damit ihm neuer Scheiss verkauft werden kann.
März 2021