Kein Recht auf Pessimismus
Fühlen wir mal den Puls der Welt, so wie sich ihr Bild in uns manifestiert hat, erzeugt durch News, Soziale Medien und diversen Plattformen. Was hat unsere Zeit zu bieten? Kann es sein, dass ab morgen alles anders ist? Geschieht tatsächlich jeden Tag irgendwo auf der Welt etwas Gutes, gar ein kleiner Schritt in die richtige Richtung? Schließlich wird seit Jahren über die Probleme geredet. Der Klimawandel ist Thema an jedem WEF. Firmen und Startups sprühen vor Ideenreichtum über nachhaltige Wirtschaft. Economy 2.0, Postwachstumsökonomie, das sind nur einige von vielen Zukunftsphantasien, durchdrungen von Zuversicht und Optimismus Aber sagen Sie das niemals laut! Die anderen werden Ihnen höhnisch über den Mund fahren. Närrische Hoffnung! Du Naivling! Achja... ich unverbesserlicher Optimist, gewohnt, stets irgendwo ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Doch bewahrheitet sich wieder nur das Klischee der vermeintlich naiven Hoffnung in einem Meer von Aussichtslosigkeit?
Auf den heutigen Tag fällt die Amtsübernahme von Donald Trump. Nach vielem, was ich mir in letzter Zeit durch den Kopf gehen liess, und das mich in eine trotzige Haltung brachte, zu glauben dass unter Trump doch das eine oder andere Gute geschehen könnte, wie zum Beispiel das Ende des Krieges in der Ukraine, werde ich nun doch vom Gefühl der Ernüchterung dominiert, angesichts der radikalen Streichungen der Investitionen für den Klimaschutz. Erneut hatten wir wieder ein Hitzerekord-Jahr. 2024 war insgesamt das heißeste je gemessene Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Schon wie das Jahr zuvor. Und das Jahr davor. Ein Rekord jagt den nächsten. Und während in Kalifornien die Brände halb Hollywood verkohlen, wird mit ununterbrochenem Eifer der Regenwald abgeholzt, schmilzt stetig das Polareis und verschwinden täglich zehntausende von Tierarten. Tja, wir kennen es bereits.
Seit langer Zeit ist meine grösste Befürchtung, dass sich irgendwann die Ernüchterung und die Verzweiflung unter einem grossen Teil der Gesellschaft breit macht und die öffentliche Meinung sich in die Richtung entwickelt, dass sich nichts mehr ändern lassen kann und dass die Katastrophe unausweichlich ist. Wir sehen diese Neigung bereits bei den Leuten, die sich entschliessen, unterirdische Bunker für den Tag X zu kaufen oder sich bauen zu lassen, am besten noch mit eingebautem Whirlpool. Ein bisschen Spass soll die Sache ja schon noch machen. Man zieht sich zurück und entrückt sich selbst bewusst aus der Gemeinschaft, die noch Hoffnung hat. Schliessen Sie die Augen und lassen Sie all Ihre Gedanken fahren, die etwas mit der Aussenwelt, mit anderen Leuten zu tun haben. Es gibt nichts leichteres. Endzeitstimmung wird sich vermehrt ausbreiten, was wiederum katastrophale Auswirkungen auf den Kampf gegen die Erderwärmung haben wird. Eine makabere Mentalität, vor dem Ende nochmal richtig lautes Getöse anzustimmen und sich in Party, Besäufnis, Krieg und Orgien zu ersäufen, wird sich ausbreiten. Noch einmal richtig auf die Pauken hauen, bevor die Lichter ausgehen. Ich kann mir vorstellen, dass einige Leute das gar nicht so schlecht finden. Mit dem Ende der Welt ist ja die angenehme Vorstellung, dass dieses Ende dann für alle gilt. Alle wären dann weg. Das Kränkende am Tod ist ja nicht das eigene Ende, sondern dass alle anderen noch da sein werden. Party wird weitergehen. Das ist ja das, was einen fertig macht. Deswegen ist es total super, wenn alle auf einmal sterben. Aber natürlich ist das völliger Unfug. Die Menschheit wird in den nächsten Jahrhunderten nicht aussterben und der vorgespielte Pessimus ist unaufrichtig, um nicht zu sagen völlig verlogen. Wir alle sind innerliche Optimisten, und alle, die so vorgespielt pessimistisch tun, spielen bewusst oder unbewusst Theater.
Ich persönlich gehe dabei noch weiter und sage: Aus meiner Sicht haben wir hier im wohlbehüteten dekadenten Westen überhaupt nicht das Recht auf Pessimismus! Ich sage nicht nur, dass mir dieser ganze vorgespielte Pessimismus auf den Sack geht, sondern dass ich uns dazu auch nicht berechtigt sehe. Die Tatsache, dass der Westen tendenziell pessimistischer wird, erscheint besonders absurd, wenn man feststellt, dass laut Umfragen und allen Statistiken weltweit der Optimismus, gerade in den Schwellenländern, was ihre eigene Zukunft betrifft, zunimmt. Die Menschen dort teilen unseren Pessimismus nicht. Eine durchschnittliche Person in Nigeria lebt heute viel besser als noch vor dreissig Jahren. Allgemein wird die weltweite Armut seit vielen Jahrzehnten ziemlich erfolgreich bekämpft. Man muss sich mal vor Augen führen, dass im Westen, wo täglich Millionen von Zalando-Paketen vor die Haustüren gekippt werden, wo ungezählte Bilder mit scheinbar glücklichen Menschen geteilt werden, wo der neue Thermomix in der Küche einem die letzte Handbewegung abnimmt, wo die Kleiderschränke vollgestopft sind mit Billigfashion, die noch nie getragen wurde, wo die Reisen immer entrückter werden, wo die Menschen das siebenfache des real existierenden Planeten verbrauchen während gleichzeitig Milliarden Tonnen Müll nach Westafrika ausgeschifft wird; wie ausgerechnet hier gleichzeitig alle jammern über den kommenden Untergang der Welt und Extinction Rebellion die Strassen blockiert.
Ich persönlich finde es supertoll, in all dem Fett und Wohlstand aufgewachsen zu sein. Und wir sollten uns alle wirklich sehr darüber freuen! Dieses Privileg sollte meiner Meinung nach mit der Pflicht verbunden sein, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Unser aktueller Lebensstandard führt uns vor Augen, dass wir enorm erfolgreich sein können in dem, was wir tun. Schon allein deswegen, dass das Heute gut ist, sollte einem genug Grund geben, dafür zu sorgen, dass das Morgen genauso gut und sogar noch besser wird. Zivilisatorischer Fortschritt fusst auf einer positiven Erzählung über die Zukunft. Wir müssen Optimismus und Zuversicht als Ressource betrachten, die wir bewahren und schützen müssen. Mit einer Milliarde deprimierten Wohlstands-Westlern am Hals wird auch China die Welt nicht retten können. Neulich sah ich mir ein Interview mit dem bekannten deutschen Klimaforscher Mojib Latif an, einem der ganz frühen Warner der Klimaerwärmung. Von jemandem, der jahrzehntelang bereits wusste, in was für eine Katastrophe wir uns scheinbar unaufhaltsam hineinmanövrieren und gesehen hat, wie nichts dagegen unternommen wird, hörte ich dennoch den Satz „Ich kann ohne Hoffnung nicht leben.“ Ich auch nicht. Und ich gebe mir selber auch gar nicht erst das Recht dazu.
Januar 2025