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Als ich Hass sah

Es war brütend heiss, als ich auf weitem Feld aus dem Flieger stieg. Um nach Baku zu gelangen, braucht man nur eine Flugstunde von Tbilisi. Aserbaidschan war für mich völlig unbekanntes Terrain. Bald schon aber erfuhr ich mehr über die seltsame kulturelle Mischung und die spezielle Geschichte des kleinen Landes am Kaspischen Meer. Das Volk ist eng verbandelt mit den Türken. Die schiitische Religion hingegen teilt es mit dem benachbarten Iran. Doch die Aseris kamen mir alles andere als streng religiös vor, denn das Land  hat als ehemalige Sowjetrepublik achtzig Jahre diktierter Atheismus hinter sich. Aserbaidschanisches Bier gab es an jeder Ecke zu kaufen. Die umwerfend schönen aserischen Frauen liefen in der brütenden Hitze in Hot Pants herum und wenn man mal Frauen mit Burkha antraf, dann waren es Touristinnen aus Saudi-Arabien, die sich mit den Einheimischen nur auf englisch verständigen konnten. Doch nichts, was ich in Aserbaidschan sah, war augenscheinlich so gegenwärtig wie der Konflikt mit Armenien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich machte mich auf in Richtung Ischäri-Schähär, der wundervollen Altstadt von Baku. Eine Taxifahrt durch die Megacity lässt einen nicht schlecht staunen. Der überwältigende Prunk soll einen einschüchtern. Schmucke Hotels reihen sich endlos aneinander. Ich hatte noch nie so viele Springbrunnen auf einmal gesehen. Zwischen all den Klötzen war auch deutlich erkennbar, woher der immense Reichtum des kleinen Landes stammt. Überall sah man die Ölpumpen, die teilweise direkt zwischen den Wohnhäusern standen. Vielerorts war der Boden schwarz gefärbt. Mit Öl und Gas hat Aserbaidschan auf dem Weltmarkt gute Karten in der Hand. Selbst europäische Staatsoberhäupter wie Ursula von der Leyen reisen nach Baku, um sich mit Ilham Aliyev zu treffen, dem Sohn des legendären Präsidenten, der Aserbaidschan in die Unabhängigkeit führte. Noch auffälliger als das viele Öl aber, waren omnipräsente Schilder mit Abbildungen von jungen Männern. Sie reihten sich an der Autobahn, sie hingen an Bushaltestellen und an Hauseingängen. Nach einiger Zeit verstand ich, dass ich zu einer Zeit ins Land kam, als der wieder ausgebrochene Konflikt mit Armenien erst ein paar Monate alt war. Ich schaute in die Gesichter junger Märtyrer, die ihr Leben gegeben hatten, die verlorene Region Nagorny Karabach zurückzuerobern. Beeindruckt war ich, mit wie viel Ehrwürdigung und Pomp diese toten Helden ausgestellt wurden. Ich konnte in ganz Aserbaidschan keine hundert Meter weit gehen, ohne dass ich an den heldenhaften Kampf der Aseris gegen den Feind erinnert wurde. Die Fahne der Nation wehte über den zahllosen Gedenkstätten. Die Trauer wurde ergreifend inszeniert. Der militärische Grundton, stramm in Uniform, hielt das Land in Alarmbereitschaft. Grosse Tafeln mit propagandistischen Slogans wie “Karabach gehört uns!” hingen unübersehbar über den Strassen. Man vermochte den Blick nicht abzuwenden von der Botschaft des gerechten Kampfes gegen das Unrecht.


 

 

 

 

 

 

In Baku lernte ich eine Frau kennen, mit der ich einige Tage unterwegs war. Ihr älterer Bruder war nur Monate zuvor im Kampf getötet worden. Als wir so dasaßen mit unserem Eis in der Hand, erzählte sie mir von ihrem Hass gegen alle Armenier. Irgendwie kam es mir surreal vor, wie diese jungen Leute, die augenscheinlich nichts von uns unterschieden, die Gen-Z Aserbaidschans, eine Kriegserfahrung durchgemacht hatten, die tausende von Brüdern und Cousins in den Tod gerissen hatte. Von einer jungen Frau zu hören, dass sie ein anderes Volk leibhaftig hasste, nahm mir irgendwie die Motivation, als interessierter Ausländer intellektuell über den Krieg sprechen zu wollen und ließ mich verstummen. Auch sonst lässt einen der demonstrativ zur Schau gestellte Hass ratlos zurück. An der endlos langen Strand-Promenade gab es einen Park, wo eroberte armenische Panzer und sonstige Kriegsfahrzeuge ausgestellt wurden. Kinder spielten darauf herum.

 

 

 

 

Ich kehrte aus dem Kaukasus zurück mit einer äusserst befremdlichen Erfahrung. Nur wenige Monate danach eroberten die Aseris in einer letzten Grossoffensive schliesslich ganz Nagorny-Karabach, wobei viele Armenier starben und Familien und ganze Sippen aus ihrer Heimat flohen. Als ich später einer Freundin aus Aserbaidschan schrieb, erzählte sie von ihrem Stolz, dass man die Armenier nun endlich aus Karabach vertrieben habe.

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