Warum ich Agnostiker bin
Viele Leute in unserer Gesellschaft sagen von sich wohl, sie seien Atheisten. Man glaubt, es gibt keinen Gott, nichts Übermenschliches, kein höheres Wesen, dessen Existenz dem Hier und Jetzt sein Kleid gibt. Als Begründung dafür wird meistens als erstes die Gegenthese bekämpft: Was die Bibel sagt, ist Blödsinn. Was da steht, ist nur etwas für Verblendete. Argumentiert wird damit, dass die Wissenschaft alles, was in der Bibel etwa über die Erschaffung der Welt und all dies steht, widerlegt. Man geht davon aus, dass Wissenschaft und Glaube sich widersprechen. Daraus folgt, dass viele Leute sich einbilden, an nichts zu glauben. Man sagt, ich bin Atheist. Denn durch meine Aufgeklärtheit weiß ich, dass diese althergebrachten Religionen, die alle irgendwie von Gott oder Göttern ausgehen, widerlegbar sind.
Jeder Mensch glaubt an etwas. Jeder Moment, in dem wir verzweifeln oder uns freuen, setzen wir uns unterbewusst mit der Frage auseinander, was der Sinn unserer Existenz ist. Während verschiedenen Momenten unseres Lebens finden wir unterschiedliche Antworten darauf. Verspüren wir Liebe, wissen wir, dass dies etwas ist, das das Leben lebenswert macht. Wenn wir uns in einem Hoch auf einer Party wiederfinden, unser Gehirn Dopamin ausschüttet, wissen wir, dass es sich gut anfühlt und man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Wenn wir allein weinend an unserem Bett knien, ist es die Verzweiflung, die wir verspüren. Und dann bilden wir uns eine Aussichtslosigkeit ein, die uns weismachen will, dass das Leben im Grunde schmerzvoll ist. Unser ganzes Leben lang finden wir unterschiedliche und individuelle Antworten auf die eine Frage. Warum und zu welchem Zweck sind wir überhaupt da? Es gibt keine Wissenschaft, die uns das erklären kann.
Wissenschaft ist die Wissenschaft von Menschen und für Menschen. Sie ist die Erklärung der existenten Welt durch existente Wesen. Mithilfe der Wissenschaft, gelingt es uns, die Materie bis in die kleinsten Teilchen zu erforschen und die kompliziertesten physikalischen Abläufe zu verstehen. Wir verstehen, wie die Erde und unser Sonnensystem entstanden sind. Wir können herleiten, dass Galaxien durch gigantische Schwarze Löcher entstanden ist und wir sind soweit gekommen, dass wir verstanden haben, dass die Zeit laut Einstein tatsächlich relativ sein muss. Durch unser großes Gehirn und unsere geistigen Errungenschaften, von Generation zu Generation weiter vertieft, sind wir erleuchtete Wesen, wissensdurstig und unerschöpflich. Nur eins kann die Wissenschaft nicht: Begründen, zu welchem Zweck all dies existiert und funktioniert. Wir wissen, dass in einem Wasserstoffatom zwei Elektronen, ein Proton und ein Neutron stecken. Wir wissen, was diese Teilchen bewirken. Wir wissen, wie und warum sie mit anderen Molekülen auf diese und jene Weise reagieren und wir können uns dieses Wissen zunutze machen. Welchem Zweck dies aber dient, wissen wir nicht. Wir wissen nicht, wozu die existente Welt so funktioniert, wie sie es tut. Wir können sie lediglich beobachten, protokollieren und codifizieren. Wir wissen nicht, wozu es sowas wie Existenz überhaupt geben muss. Was ist der Sinn dahinter? Es könnte genauso gut Nichts geben. Eine Nicht-Existenz. Eigentlich müsste es sowas mal gegeben haben. Was war vor dem Urknall? Nichts? Wie stellen wir uns das Nichts vor? Unsere Gehirne selbst sind existent und daher für solche Fragen nicht konstruiert. Unser kognitives Verständnis von der Welt ist limitiert durch unsere eigene Existenz.
Wenn wir also davon ausgehen, dass die Wissenschaft von uns Menschen den Sinn und Zweck des Lebens nicht erklären kann, dann könnte es sein, dass etwas anderes, etwas nicht messbares die Ursache für Existenz ist. Man könnte diese unbekannte außer-universelle Macht wohl Gott nennen. Oder mehrere Götter. Oder einfach ein Wesen, ein komplexes Bewusstsein. Durch die ganze Menschheitsgeschichte haben wir die Erschaffung der Welt zu erklären versucht. Keine davon hat sich letzten Endes als richtig erwiesen. Wahrheit ist ein unmögliches Geschäft. Dennoch haben Religionen die Menschen immer bewegt. Sie haben sie geeint und geteilt. Sie haben ihnen entsetzliche Furcht und große Hoffnung gebracht. Eine endlose Suche nach Wahrheit über die Jahrtausende hinweg haben uns hierher gebracht, wo wir heute sind. Die Wissenschaft prescht unermüdlich voran. Und doch prescht sie ins Leere. Jedenfalls, wenn man meint, sie könne uns bei der Suche nach Wahrheit helfen. Sie kann es nicht und sie wird es nie können. So etwas wie eine physikalische Weltformel, die begründen wird, zu welchem Zweck das Universum erschaffen wurde, gibt es nicht. Wir werden auf ewig im Dunkeln tappen. Wir sind nicht in der Lage zu wissen, ob es eine inexistente höhere Macht gibt, nach daran Plan und Wunsch die Existenz ins Leben gerufen wurde. Und vielleicht ist dies der Grund, warum es überhaupt Leben gibt.
Ein Atheist glaubt, dass es so etwas wie Gott nicht gibt. Ein Theist glaubt, dass es Gott gibt. Beide beanspruchen daher ein Wissen. Ein Agnostiker aber sagt: Ich kann es gar nicht wissen. Es ist nicht möglich. Auf wissenschaftlicher Basis ist die Existentenz oder Nichtexistenz von Gott einfach nicht zu beweisen.
Dezember 2022